Zur Person

Prof. Dr. Alexander Dechêne ist Spezialist in Sachen Leber, Magen und Darm. Zudem hat er die ärztliche Leitung der Klinik für Innere Medizin 6, mit den Schwerpunkten Gastroenterologie als auch Endokrinologie, am Klinikum Nürnberg.

Prof. Dr. Dechêne spricht im Interview über die Leberzirrhose.

Herr Prof. Dr. Dechêne, viele Menschen verbinden eine Leberzirrhose grundsätzlich mit einer Alkoholsucht. Würden Sie sagen, dass das stimmt?

Nein. Weil Alkohol nur eine von vielen Schädigungsursachen der Leber ist. Wenn wir zum Beispiel an die Virushepatitis denken, sind beide Erkrankungen (hervorgerufen durch Hepatitis B oder C Viren) mit chronischem Verlauf durchaus in der Lage, eine Leberzirrhose hervorzurufen. Ein Betroffener muss nicht befürchten, dass ihn ein Leberarzt als Säufer abstempelt.


Möchten Sie zum Thema alkoholsuchtbedingte Schädigung der Leber noch etwas ergänzen?

Die Alkoholsucht ist ein psychiatrisches Krankheitsbild. Das bedeutet, dass man die Alkoholsucht nicht mit einer Ursache für eine Leberzirrhose gleichsetzen darf. So gibt es Patienten, die eine alkoholische Leberzirrhose haben, jedoch nicht süchtig nach Alkohol im eigentlichen Sinne sind.


Wie viel Alkohol müsste denn eine Person täglich trinken, damit ein Risiko für eine Leberzirrhose besteht?

Es gibt keine risikolose Menge an Alkohol. Näherungsweise lässt sich sagen, dass das Risiko für eine Leberzirrhose bei Frauen schon ab 20 Gramm reinem Alkohol (das entspricht etwa einem halben Liter Bier mit einem Alkoholgehalt von 5 Volumenprozent, Anm. d. Red.) am Tag steigt – bei Männern etwa ab 40 Gramm. Sie werden jedoch sowohl Menschen finden, die mit geringeren Mengen an alkoholhaltigen Getränken Probleme haben, als auch Personen, die deutlich größere Alkoholmengen zu sich nehmen und keine Leberzirrhose entwickeln.


Was bedeutet das für das eine Glas Rotwein am Abend, das angeblich gesund sein soll?

Über viele Jahre hinweg ist verbreitet worden, dass geringe Mengen an Alkohol positive Effekte haben – jetzt nicht auf die Leber, sondern beispielsweise auf das Demenzrisiko. Rotwein ist in diesem Zusammenhang immer wieder angesprochen worden. Es hat sich jedoch gezeigt, dass nicht die Art des Alkohols den Unterschied macht, sondern eine bewusstere Lebensweise. Wer Rotwein trinkt, hat manchmal eher auf die Gesundheit positiv wirkende Angewohnheiten.


Verstehe. Doch kommen wir zurück zum Thema. Treten Lebererkrankungen denn häufig auf?

Wir haben in Deutschland mehrere Millionen Menschen mit Lebererkrankungen. Viele davon sind sogar noch undiagnostiziert.


Was genau versteht man unter einer Leberzirrhose?

Eine Leberzirrhose ist keine eigenständige Erkrankung. Im Grunde genommen ist sie der Zustand, der Eintritt, wenn die Leber über einen längeren Zeitraum hinweg – in der Regel über Jahre – einer schädigenden Ursache ausgesetzt ist.

In diesem Fall kann es dazu kommen, dass gesunde Leberzellen absterben beziehungsweise abgebaut und nicht im gleichen Maße wieder ersetzt werden. Was wiederum dazu führt, dass andere Leberzellen vermehrt in die Produktion von Bindegewebsbestandteilen übergehen. Anders gesagt ersetzt der Organismus nützliche Leberzellen durch funktionsloses Bindegewebe.


„Ihre Leber ist zirrhös“ – was meinen Experten damit?

„Zirrhose“ beschreibt eine kleine, harte, furchige und von Bindegewebe durchsetzte Leber. Eine Leberzirrhose an sich sagt sehr wenig über deren Ursache aus.


Und worin besteht der Unterschied zwischen einer Leberfibrose und einer Leberzirrhose?

Im Grunde genommen ist die Leberzirrhose die ausgeprägteste Form einer Leberfibrose. „Fibrose“ meint eine Bindegewebsvermehrung beziehungsweise Faservermehrung in der Leber. In einem frühen Stadium lässt sich das nur mikroskopisch darstellen – kleine Gewebeproben können dafür mit einer Nadel entnommen werden.

Durch welche Symptome macht sich eine Leberzirrhose bemerkbar?

Die Leberzirrhose ist keine eigenständige Erkrankung. Daher hat sie auch keine eigene Symptomatik. Was Patienten bemerken, ist eine nachlassende Leberfunktion – allerdings nur auf indirektem Wege. Sie macht sich bei vielen Betroffenen vor allem durch Müdigkeit und Abgeschlagenheit wahrnehmbar.


Ist eine Leberzirrhose schmerzhaft?

Überhaupt nicht. Denn die Leber hat – außer in der Kapsel, die sie umgibt – keine Schmerzfühler. Daher ist eine Leberzirrhose eigentlich nicht spürbar. Es gibt Kollegen, die sagen, „Müdigkeit ist der Schmerz der Leber“.


Und welche Symptome erkennen Ärzte bei ihren Patienten?

Wir sehen Gelbsucht (zuerst wird das Augenweiß gelb, später die Haut), die wir Ikterus nennen. Dabei handelt es sich um den Anstieg bestimmter Farbstoffe, die die Leber eigentlich so verstoffwechselt, dass sie nur in geringer Menge im Blut vorhanden sind – jetzt aber in großer Menge, die sichtbar wird.

Wir sehen Patienten mit Blutungen. Typische Orte, an denen es blutet, sind Krampfadern an der Speiseröhre oder im Magen.

Und häufig sehen wir auch Muskelverlust an den Oberarmen und Beinen der Betroffenen – bei gleichzeitiger Zunahme des Bauchumfangs, weil sich dort freies Wasser ansammelt.

Welche Ursachen stecken hinter einer Leberzirrhose?

Die Leberzirrhose ist Ausdruck einer längerfristigen schädigenden Einwirkung auf viele Leberzellen. Das kann eine von außen kommende, giftige Substanz sein – etwa Alkohol. Dabei zerstört dieser an sich die Leber nicht. Zellschädigend sind vielmehr die Stoffwechselprodukte des Alkohols. Demzufolge: Je mehr alkoholhaltige Getränke eine Person trinkt, desto mehr toxische Stoffwechselprodukte entstehen.

Zudem ist manchmal die Leberzelle selbst der Ort einer Virusinfektion mit Hepatitis B- oder C-Viren. Diese Viren werden in den Leberzellen von bestimmten Lebereinrichtungen vermehrt. Dabei sterben einzelne Leberzellen ab. Darüber hinaus gibt es Menschen mit genetischen Stoffwechselstörungen. Zum Beispiel nehmen manche Personen zu viel Eisen im Körper auf. Auch dies führt sekundär zu einer Leberzellschädigung.

Des Weiteren diagnostizieren wir heutzutage immer häufiger Fettlebererkrankungen. Bei einem kleinen Teil der Fettleberträger kann es zur Entstehung einer Leberzirrhose kommen.


Sind Kombinationen aus Ursachen möglich?

Na klar. Wenn jemand beispielsweise eine Hepatitis B hat, heißt das ja nicht, dass er keinen Alkohol trinkt. Und überhaupt ist in Deutschland die Zahl derer, die alkoholfrei leben, relativ gering. Demzufolge ist die Wahrscheinlichkeit für mehrere auslösende Ursachen hoch.

Existieren denkbare Komplikationen?

Es gibt verschiedene Probleme, die jede für sich die Lebenserwartung beeinträchtigen kann. Die Leberzirrhose führt zu Komplikationen, wenn durch sie der Verlust an funktionierenden Leberzellen ein bestimmtes Maß überschreitet. Diese Komplikationen sind zum Beispiel Tumorentstehungen an der Leber oder Blutvolumenverschiebungen im Körper. Letztere bringen wiederum an anderen Organen wie den Nieren Organfunktionsstörungen mit sich.

Unter Umständen können die genannten Komplikationen lebensbedrohliche Blutungen nach sich ziehen. Zudem sind auch Störungen der Leberentgiftungsleistung sowie Hirnleistungsstörungen möglich. Bis hin zur Hirnschwellung und Tod durch diese Komplikationen ist alles denkbar.


Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass jemand durch eine Leberzirrhose an Leberkrebs erkrankt?

Das hängt von der Erkrankung ab, die zur Leberzirrhose geführt hat. Und davon, ob diese noch besteht. Aber man sollte schon damit rechnen, dass das Risiko für eine Krebsentstehung bei Leberzirrhose-Betroffenen im Bereich von 3 bis 5 Prozent pro Jahr (für einen einzelnen Patienten) liegt. Jedoch ist das nur eine Wahrscheinlichkeit. Eine Aufrechnung wie: Wenn es also 5 Prozent sind, habe ich nach 20 Jahren mit einer Wahrscheinlichkeit von 100 Prozent Leberkrebs, wäre falsch.


Wie oft sollten Menschen, die eine Leberzirrhose haben, sich beim Experten untersuchen lassen?

Wir empfehlen Patienten mit einer fortgeschrittenen Leberzirrhose oder -fibrose, sich möglichst zwei Mal im Jahr einer Ultraschalluntersuchung der Leber zu unterziehen. Damit Tumore, die in kleiner Größe noch keine Symptome mit sich bringen, so früh erkannt werden, dass sie möglicherweise noch heilbar sind.

Welche Möglichkeiten haben Ärzte, um eine Leberzirrhose festzustellen?

Indem sie sich ein Bild von der Leber machen. Entweder durch medizinische Bildgebung (Ultraschall, Computertomografie) oder anhand von Messungen an der Leber. Zum Beispiel ist es heutzutage möglich, mit Ultraschallverfahren die Leberfestigkeit sowie -steifigkeit zu ermitteln. Und wenn die Leber bei einem bestimmten Erscheinungsbild messbar verhärtet ist, spricht das für die Diagnose Leberzirrhose.

Oder – das ist die klassische Diagnosemethode – ein Stückchen Lebergewebe wird entnommen und dann unter dem Mikroskop untersucht. Denn das, was die Zirrhose bezeichnet – eine Bindegewebseinlagerung –, lässt sich nur mikroskopisch feststellen. Trotzdem wird nicht jedem Patienten gleich eine Leberprobe entnommen, das ist oft nicht notwendig zur Behandlung.

Alternativ kann ich im Blut erkennen, ob bestimmte Eiweiße nicht mehr in gewissen Mengen produziert werden. Oder die Entgiftungsleistung der Leber funktioniert nicht richtig und ich merke, der Betroffene zeigt Zeichen einer nachlassenden Leberfunktion. Wenn solche Merkmale vorhanden sind, muss ich mir die Leber genauer anschauen. Es ist also häufig ein Mosaik, das wir Ärzte zusammensetzen.


Die Leberstruktur im Ultraschall erkennen: Wie kann man sich das vorstellen?

Mit einer Ultraschalluntersuchung können Mediziner quasi in den Organismus hineinschauen. Körpereigene Strukturen erscheinen in Grautönen auf einem Bildschirm. Die gesunde Leber sieht anders aus, als die erkrankte – wobei sich eine Lebererkrankung mit dem Ultraschall nie zu 100 Prozent ausschließen lässt. Aber wenn ich einen Patienten habe und sehe, dass die Leber beispielsweise ganz klein und die Oberfläche nicht mehr glatt, sondern höckerig ist, spricht das für das Vorliegen einer Leberveränderung.

Was sind die Ziele einer Behandlung?

Das Ziel besteht darin, die Komplikationen möglichst gering zu halten beziehungsweise vollständig zu vermeiden. Ist ein Patient etwa in Folge einer vermehrten Alkoholaufnahme erkrankt, ist das primäre Behandlungsziel natürlich das schädigende Mittel zu beseitigen – wie auch immer das umgesetzt wird. Denkbar sind beispielsweise Sucht- oder Entgiftungsbehandlungen.

Wenn eine Person mit einer Virushepatitis zu mir kommt, ist die Grundlage natürlich erst einmal diese zu behandeln, um weitere Schäden an der Leber zu verhindern.


Eine Heilung ist nicht möglich. Richtig?

Genau. Die Leberzirrhose ist generell nicht wieder vollständig umkehrbar. Es geht vielmehr darum, komplikationsvermeidende Behandlungen anzuwenden.


Wann wird eine Lebertransplantation erforderlich?

Im Falle von Patienten, bei denen die ursächliche beziehungsweise komplikationsvermeidende Behandlung zu keiner Verbesserung der Leberfunktion führt. In der Regel häufen sich dann die Komplikationen und wir wissen, dass die Lebenserwartung hier drastisch eingeschränkt ist. Eine Lebertransplantation bekommen also nur die kränksten Menschen. Es ist eine ärztliche Aufgabe abzuwägen, ob die Transplantation eine Lösung ist.


Was passiert bei einer Transplantation?

Ein krankes Organ wird entnommen und ersetzt durch ein Organ (oder nur einen Teil davon), das von einer anderen Person entfernt wurde. Die Verteilung der Transplantate regelt eine in mehreren Ländern Europas zusammenarbeitende Organisation. Es gibt strenge Richtlinien bezüglich der Voraussetzungen, die eine Person erfüllen muss, damit sie überhaupt auf die Transplantationsliste kommt.


Damit es überhaupt nicht soweit kommt – wer sollte zu einer Vorsorgeuntersuchung gehen?

Risikopatienten. Also zum Beispiel Menschen mit einer chronischen Virushepatitis, die noch keine Leberzirrhose haben. Im Übrigen macht es letzten Endes keinen Sinn, dass Gesamtdeutschland sich jährlich an der Leber untersuchen lässt.

Wer wäre ein geeigneter erster Ansprechpartner in Sachen Leberzirrhose?

Hausärzte sind empfehlenswerte Erstansprechpartner, weil sie natürlich viel über einen Patienten wissen. Existieren zuhause Probleme? Bestehen Belastungsfaktoren? Sind leberschädigende Verhaltensweisen bekannt? Gibt es Veränderungen im Blutbild, die auf eine Lebererkrankung hinweisen?

Die letztendliche Abklärung und Ingangsetzung einer eventuell nötigen Behandlung übernimmt in der Regel ein Gastroenterologe so heißt die Fachbezeichnung. Ein Lebermediziner nennt sich sonst auch Hepatologe. Das ist quasi ein Teilgebiet der Gastroenterologie.


Herr Prof. Dr. Dechêne, möchten Sie den Lesern abschließend noch etwas zum Thema Leberzirrhose mitgeben?

Ich glaube, dass man vor allen Dingen versuchen muss, den Begriff „Leberzirrhose“ von dem häufig mittransportierten Stigma zu befreien. Nicht jeder Betroffene hat etwas falsch gemacht. Ob ein Patient nun eine Mitschuld hat oder nicht, ist eigentlich auch unwesentlich. Aus Sicht des Lebermediziners geht es viel eher darum, möglichst früh eine Diagnose zu stellen, Erkrankte zu begleiten und Folgeschäden zu verhindern.

Dahingehend möchte ich appellieren, dass Menschen, die bei sich ein Risiko für die Leber sehen, oder vielleicht schon erste Befunde mitgeteilt bekommen haben, sich von einem Experten konsequent aufklären lassen. Dabei gibt es nichts, wofür man sich schämen müsste.

Haben Sie vielen Dank für das spannende Interview!

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Regina Lopes Bombinho Brandt Aufgrund ihrer Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin kennt Regina Brandt Krankenhäuser auch hinter den Kulissen. Durch ihr Studium der Sprach- und Kommunikationswissenschaften vermischen sich bei kanyo® ihre Kenntnisse in Sachen Online-Redaktion, Medizin und Kommunikation. Regina Lopes Bombinho Brandt Medizinredakteurin und Kommunikationswissenschaftlerin kanyo® mehr erfahren