Was genau ist eine Ösophagusatresie?
„Ösophagus“ ist der lateinische Begriff für die Speiseröhre, „Atresie“ bezeichnet den Verschluss eines Hohlorgans. Somit erklärt sich bereits ganz gut, was unter einer Ösophagusatresie zu verstehen ist –eine angeborene Fehlbildung, bei der die Speiseröhre entweder keine Verbindung zum Magen hat oder stark verengt ist. Betroffene haben zudem meist ein anderes Problem: Es können Verbindungen (Fisteln) zwischen Luft- und Speiseröhre bestehen, die dort eigentlich nicht hingehören.
Eine Ösophagusatresie wird oft schon während der Schwangerschaft oder zumindest unmittelbar nach der Geburt erkannt und muss unverzüglich behandelt werden. Die genaue Ursache ist bisher noch nicht ganz klar, die Fehlbildung scheint sich jedoch schon sehr früh in der Schwangerschaft zu entwickeln. Durch die „Lücke“ oder den Verschluss können weder Nahrung noch Speichel vom Mund in den Magen des Kindes gelangen.
Die Ösophagusatresie ist eine relativ häufige Fehlbildung: Etwa eines von 2.500 bis 4.000 Kindern weltweit wird damit geboren. Dabei kommt sie bei Jungen (60 Prozent) häufiger vor als bei Mädchen (40 Prozent).1 Bei etwa der Hälfte aller Neugeborenen mit Ösophagusatresie werden zudem andere Fehlbildungen (zum Beispiel an Herz oder Nieren) festgestellt.2
Wie äußert sich eine Ösophagusatresie bei Neugeborenen?
Zu den Anzeichen einer Ösophagusatresie bei Babys gehören:
- häufiges Husten
- Herauswürgen von Schleim und Speichel
- rasselnde Atmung
- Atemnot
Diese Symptome entstehen, da die Kleinen Speichel oder Nahrung nicht richtig schlucken können und wieder herauswürgen müssen.
Wie stellt der Arzt die Diagnose?
Bei Verdacht auf eine Ösophagusatresie wird der Arzt zunächst versuchen, dem Kind eine Magensonde zu legen. Ist diese nur wenige Zentimeter verschiebbar, ist das ein weiteres Anzeichen für eine Ösophagusatresie. Eine Röntgenuntersuchung mit Kontrastmittel festigt die Vermutung des Arztes.
Meist wird eine Ösophagusatresie jedoch schon während der Schwangerschaft diagnostiziert. Stellt der Mediziner bei einer Ultraschalluntersuchung sehr viel Fruchtwasser fest, kann dies ein erster möglicher Hinweis auf eine Fehlbildung der Speiseröhre sein. Denn normalerweise schluckt der Fötus in Mamas Bauch immer etwas Fruchtwasser. Bei einer Fehlentwicklung der Speiseröhre kann er das aber nicht. Die Folge: Es sammelt sich mehr Fruchtwasser an und der Magen des Fötus ist nur schwach oder gar nicht gefüllt.
Bei Verdacht auf eine Ösophagusatresie rät der Arzt der Schwangeren meist dazu, in einer Klinik mit Kinderchirurgie zu entbinden.
Verschiedene Ösophagusatresie-Typen im Überblick
Der Mediziner Walther Vogt veröffentlichte 1929 eine Einteilung in verschiedene Ösophagusatresie-Typen, die noch heute in den meisten europäischen Ländern Anwendung findet. Insgesamt werden dabei fünf Formen unterschieden:
Formen und Häufigkeitsverteilung der Ösophagusatresie nach Vogt3
Typ I
Die Speiseröhre (Ösophagus) fehlt komplett
< 1 Prozent
Typ II
Ösophagusatresie ohne Fistel: Unterbrechung der Speiseröhre; keine Verbindung zur Luftröhre (Trachea)
9 Prozent
Typ IIIa
Fistel zur Luftröhre (oben): der obere Teil des Ösophagus ist mit der Luftröhre verbunden, während der untere blind endet.
< 1 Prozent
Typ IIIb
Fistel zur Luftröhre (unten): der untere Teil der Speiseröhre ist mit der Luftröhre verbunden, der obere endet blind
87 Prozent
Typ IIIc
Kombination aus a und b: die Speiseröhre ist unterbrochen, jedoch sind oberer und unterer Teil mit der Luftröhre verbunden
3 Prozent
Mit Fisteln sind unnatürliche, rohrförmige Verbindungen gemeint, die zwischen Hohlorganen bestehen. Diese „Gänge“ sind von Gewebe umgeben und können sich an ganz verschiedenen Orten im Körper bilden – auch zwischen der Luft- und Speiseröhre.
Es gibt außerdem Menschen, die eine Ösophagusfistel besitzen, ohne dass ihre Speiseröhre unterbrochen ist. Dieser Sonderfall wird als H-Fistel oder Typ IV bezeichnet. Betroffene leiden häufig an chronischem Husten sowie wiederkehrenden Infekten der Lunge.4
Erstversorgung bei einer Ösophagusatresie: Was ist wichtig?
Wird ein Kind mit einer Ösophagusatresie geboren, müssen sofort einige Maßnahmen ergriffen werden:
- Der Säugling wird auf die Kinderstation gebracht und dort über einen Tropf ernährt, da er nicht gefüttert werden darf.
- Eine sogenannte Schlürfsonde saugt zudem kontinuierlich den Speichel des Babys ab. Das ist wichtig, damit sich das Neugeborene nicht daran verschluckt.
- In einigen Fällen kann es zudem notwendig sein, den kleinen Patienten künstlich zu beatmen.
Im ersten Schritt werden Ärzte das Baby auf mögliche weitere Fehlbildungen untersuchen. Dazu gehört beispielsweise ein Herzultraschall, um Herzfehler auszuschließen, oder eine Röntgenuntersuchung, um Becken und Wirbelsäule zu überprüfen. Im Weiteren wird dann der chirurgische Eingriff vorbereitet. Es handelt sich nicht um eine Notfalloperation, jedoch findet die Behandlung meist innerhalb der ersten beiden Lebenstage statt.
Wie läuft die Operation bei einer Ösophagusatresie ab?
Bei einer Ösophagusatresie kommt das Baby meist nicht um einen operativen Eingriff herum. Ziel dabei ist es, eine bestehende Fehlbildung zu korrigieren, damit der Säugling die Nahrung bald wieder über den Mund aufnehmen kann.
Die Operationsmethode ist dabei stark von der Art der Fehlbildung abhängig. Bei der häufigsten Form (Typ IIIb), bei der unnormale Verbindungen (Fisteln) zur unteren Luftröhre bestehen und der obere Teil der Speiseröhre blind endet, geht der Chirurg normalerweise folgendermaßen vor:
- Er trennt die Fisteln von der Luftröhre.
- Er verschließt diese Verbindungen (Fisteln).
- Er führt die beiden Enden der Speiseröhre wieder zusammen.
Um den Abstand der Speiseröhrenenden abzuschätzen, orientiert sich der Arzt meist an der Größe der Rückenwirbel. Beträgt er weniger als fünf bis sechs Rückenwirbel, können die beiden Teile meist unter leichter Dehnung zusammengenäht werden („End-zu-End-Anastomose“). Bei einem größeren Abstand ist hingegen ein Magenhochzug erforderlich, wobei der Magen umgeformt wird und als Ersatz-Speiseröhre dient.
Je nach den individuellen Faktoren (Art der Fehlbildungen und Geburtsgewicht) entscheidet der Chirurg auch, welche Operationstechnik durchgeführt wird. Zur Auswahl stehen:
- minimal-invasive Technik: Hierbei sind nur drei kleine Stiche (meist unterhalb der Achselhöhle) notwendig. Über sie werden dünne Schläuche, an denen sich Werkzeuge und eine kleine Kamera befinden, eingeführt.
- offenes Verfahren: Es werden mehrere Hautschnitte an der Brust gesetzt. Über diesen Zugang kann der Chirurg an der Speiseröhre operieren. Am Ende verschließt er den Brustkorb wieder, es bleiben in der Regel jedoch leicht sichtbare Narben.
Circa zwei Tage nach dem Eingriff wird der Säugling dann langsam an die Ernährung über den Mund herangeführt. Wie lange es dauert, bis die Speiseröhre wieder voll funktionsfähig ist, variiert stark. Nach der Ösophagusatresie-Operation sollten die kleinen Patienten noch etwa zwei Wochen im Krankenhaus bleiben.
Welche Spätfolgen sind bei einer Ösophagusatresie möglich?
Betroffene Kinder müssen oft ihr Leben lang zu regelmäßigen Kontrolluntersuchungen. Der Grund dafür ist, dass die Operation im Säuglingsalter Spätfolgen mit sich bringen kann:
- Tracheomalazie: Normalerweise sorgen feste Knorpelstangen für die Stabilität der Speiseröhre. Bei einer Tracheomalazie erschlaffen diese jedoch, wodurch auch Schwierigkeiten beim Atmen auftreten können.
- Gastroösophageale Refluxkrankheit: Auch ein abnormaler Rückfluss des Mageninhaltes in die Speiseröhre kann als Spätfolge entstehen, die sich unter anderem durch Sodbrennen äußert.
- Verengung (Stenose) an der Speiseröhrennaht
Diese möglichen Komplikationen ziehen dann weitere Behandlungen nach sich:
Bei der Refluxkrankheit kann unter Umständen eine Fundoplikatio eine sinnvolle Maßnahme sein. Bei diesem Eingriff wird ein Teil des Magens als Manschette um die untere Speiseröhre genäht. Dadurch soll der Rückfluss des Mageninhalts verhindert werden. Diese Engstellen müssen dann wieder aufgedehnt (bougiert) werden.
Fazit:
Eine Ösophagusatresie ist eine Fehlbildung, bei der die Speiseröhre keine Verbindung zum Magen hat oder verengt ist. Deshalb ist eine sofortige chirurgische Korrektur – meist in den ersten Lebenstagen – notwendig. Patienten haben durch die Operation im Säuglingsalter ein hohes Risiko, Spätfolgen zu entwickeln und müssen daher zu regelmäßigen Kontrollen. Insgesamt wird die Lebensqualität jedoch als gut eingeschätzt. Viele Betroffene können ein ganz normales Leben führen.